Es ist 6:30 und ich werde wie fast immer um diese Zeit wach. Es hat in Taicang einen Temperatursturz gegeben – dieses Mal von 35 Grad gestern auf 18 Grad heute. Das ist nicht wirklich förderlich für meinen Kreislauf und so freue ich mich auf die Wechsel Dusche aus heiß und kalt. In der Dusche stelle ich fest das es mit dem heiß wohl nichts wird. Meine Vermutung nach einem kurzen Gas Check in der Küche wird bestätigt: Meine Mitbewohnerin hat die Gasrechnung nicht rechtzeitig bezahlt. Dumm gelaufen, aber nichts ungewöhnliches. In Deutschland würde ja erst einmal eine Mahnung kommen und dann irgendwann die Ankündigung der Abstellung von Gas oder Strom. Hier ist das alles simpler und effektiver. Egal ob beim Handy, Strom oder Gas, wenn nicht gezahlt wird, wird die Leitung sofort unterbrochen. Als ich später meine Mitbewohnerin darüber informiere das wir kein Gas haben, reagiert diese auch ganz entspannt und sagt sie müsse das checken. Da der wichtigste Teil des morgendlichen Rituals , das warme Frühstück, mittels einer kleinen Elektrokochplatte, die wir zur Zubereitung des Teewassers benötigen, sichergestellt ist, vertieft sich meine Mitbewohnerin erst einmal in den neuesten News die ihr über die verschiedenen WeChat Gruppen zugänglich sind. Die Handyrechnung jedenfalls zahlt sie immer pünktlich, es wäre (für sie)  existentiell wenn einmal die WeChat Verbindung zur Außenwelt abgeschnitten wäre. Nach einiger Zeit, ich habe meine Haferflocken mit Milch (für mich seit sechzig Jahren existentiell und dazu benötige ich glücklicherweise kein Gas) und sie ihre gekochten süßen Kartoffeln gegessen, frage ich erneut nach dem aktuellen Gasstand. Ein erstaunter (nicht etwa schuldbewusster) Blick trifft mich und sie äußert kurzes Bedauern das die tiktok ähnlichen Videos auf WeChat doch wichtiger seien als so schnell wieder an die Gasversorgung angeschlossen zu sein. Aus meiner Erfahrung mit (meiner)  WeChat süchtigen Chines(i)en (wobei das Phänomen weltweit z.B. auch mit WhatsApp, Instagram etc. zu beobachten ist) bleibe ich beharrlich bei dem Thema, um nach einiger Zeit auch tatsächlich die gewünschte Antwort zu bekommen. Ja die Rechnung ist bezahlt (und lass mich jetzt endlich weiter meine Videos ansehen, soll der Blick sagen). Immer wissensdurstig will ich doch noch wissen wieviel wir denn so im Monat verbrauchen, schließlich muss ich ja in unserer kleinen WG für die Hälfte der Kosten aufkommen. Meine Erfahrung sagt mir das ich mehrfach nachfragen muss, was ich auch tapfer tue. Nicht etwa das das Risiko bestünde eine missmutige Antwort zu bekommen, nein das Risiko besteht darin GAR KEINE Antwort zu bekommen. Eine hundertprozentig erfolgreiche Strategie ist es eine Massage auf WeChat zu schreiben, obwohl mir meine Mitbewohnerin direkt gegenüber sitzt. Das funktioniert immer und sie schaut lächelnd auf und gibt mir die gewünschte Information. Wir verbrauchen Gas für 100 RMB pro Monat, was etwa fünfzehn Euro entspricht. Damit Du dir vorstellen kannst wie so ein leben in einer chinesischen Wohnung aussieht und wofür was verbraucht wird will ich Dir eine ja doch typische neuzeitliche Wohnung vorstellen. In einem der Fünfjahrespläne vor etwa zehn Jahren wurde entschieden, die Mehrzahl der Bevölkerung in Wohnblocks von zwanzig bis dreißig Etagen mit jeweils vier bis fünf Wohnungen je Etage umzusiedeln. Meist etwa zwanzig solcher Blocks ergeben ein sogenanntes Dorf (niedlicher Begriff) und sind durch hohe Mauern und meist Elektrodraht oder Stacheldraht eingefriedet (dieser Begriff passt tatsächlich, da dies dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen entspricht und auf die Bauweise der alten Hutongs zurückzuführen sind, haben natürlich auch einen ganz praktischen Nebeneffekt der hundertprozentigen Kontrolle). Meist hat ein solches „Dorf“ zwei bis drei Ein- und Ausgänge, die durch entsprechendes Personal kontrolliert werden. Innerhalb der befriedeten Anlage gibt es sehr schön angelegte Grün- und in manchen Dörfern auch Wasserflächen. Außerdem ist in fast jedem Block im Parterre (in China ist übrigens das Parterre der first floor und der erste Stock second floor usw. und in vielen Gebäuden wird die Nummer vier vermieden, d.h. es gibt keine vierte Etage, keine Wohnung mit der Nummer vier usw. – der Hintergrund ist das das Schriftzeichen für vier und Tod sehr ähnlich sind und da der Chinese nun mal sehr abergläubisch ist…) ein Gemeinschaftsraum mit Sportgeräten wie Tischtennis, Trimgeräten und ähnlichem. Hinter der Eingangstüre jeden Blockes geht es dann ziemlich anonym zu. Eigentlich kennt man niemanden im Block und die Chinesen schauen mich immer ganz verwundert an wenn ich sie bei zufälligen Begegnungen freundlich (und dann noch auf Chinesisch) begrüße. Die Wohnungen selber haben landesweit (wie ich bei verschiedenen Besuchen feststellen konnte) eigentlich immer den gleichen Zuschnitt. Direkt hinter der Wohnungstüre betritt man einen recht großen Wohnraum der in erster Linie als Essplatz dient. Viele dieser Wohnräume sind mit großflächigen TV ausgestattet so dass die Familie beim und nach dem Essen die News nicht nur auf dem Iphone sondern parallel auch am Bildschirm verfolgen können. Dem Wohnraum folgt meist ein großer Wintergarten ähnlicher Balkon auf dem häufig die Waschmaschine zu finden ist und die Wäsche wird dann an unter der Balkondecke befindlchen Metallstangen aufgehängt. Ebenfalls in direkter Anbindung zum Wohnraum ist der wohl wichtigste Raum für die Chinesen: die Küche. Durch eine Glasschiebewand getrennt, befindet sich hier alles um die überlebenswichtigen Essenszeremonien vorzubereiten. Des weiteren gehen dann vom Wohnraum die Schlaf- und Badezimmerräume ab, die sehr funktional sind. Wenn man eine solche Wohnung mietet, ist sie in der Regel mit allen normalen Funktionsmöbeln ausgestattet, so dass ein Umzug in China sehr unkompliziert vonstattengehen kann. Meist bestehen die Wohnungen aus zwei bis drei Wohnräumen, da der chinesischen Tradition folgend die Eltern eines Ehepaars mit in der Wohnung wohnen um auf die Kinder aufzupassen und für die Familie zu kochen, einkaufen, säubern usw. Um nun wieder auf den Gasverbrauch zurück zu kommen. Wirklich geheizt wird in diesen Wohnungen nicht. Es gibt zwar in jedem Raum ein elektrisch betriebenes Klimagerät, das aber in erster Linie im Sommer zum kühlen genutzt wird aber nicht so sehr im Winter zum Heizen. Es ist überhaupt üblich in dicken Steppjacken in den Wohnungen zu sitzen, wie dies ja auch am Arbeitsplatz üblich ist. Was würde es wohl für den weltweiten Energieverbrauch bedeuten wenn es sich alle Chinesen so gemütlich Warm machen würden wie wir Westler es so gewöhnt sind. Ich bin ehrlich, am Anfang war es für mich eine große Umstellung und auch wenn ich durch mein (heiß/kalt) Duschen am Morgen ganz gut abgehärtet bin fand ich Wohnungsinnnentemeraturen von unter zehn Grad nicht gemütlich. Aber nach etwa zwei Wochen hatte ich mich daran gewöhnt, auch weil ich einfach häufiger am Tag in das dann doch wärmere Bett ging. Um nun zu der aktuellen Gasversorgung in Deutschland Stellung zu nehmen, wenn die Mehrzahl der Deutschen das freiwillig praktizieren würden was ich gezwungenermaßen machen musste könnte man ganz schön viel Gas sparen. In China gibt es da natürlich auch die Extreme. So wurden wir zum chinesischen Neujahrsfest von Freunden zum Dinner eingeladen. Zur Vorbesprechung trafen wir uns mit der Gastgeberin zum Tee in ihren Privaträumen. Da ich das nicht wusste ging ich gut vorbereitet, d.h. mit Hemd Rollkragenpullover und Jacke zu dem Tee Meeting. Wir wurden aber in einen Raum geführt der auf 23 Grad geheizt war was mir zahlreiche Schweißausbrüche bescherte und ich so unauffällig wie möglich einige meiner Kleidungsstücke entledigte. Zum eigentlichen Neujahrsdinner am darauffolgenden Tag zog ich bei Außentemperaturen von um die Null Grad nur ein dünnes Hemd (natürlich auf dem Weg mit einer Jacke) an und wurde jäh enttäuscht da das Dinner in der Gemeinschaftsküche stattfand und nicht geheizt war. Also musste ich meinen Mantel anbehalten was dann doch ein eher unbequemes Essen war. Oder bei einem Besuch der Familie meiner Mitbewohnerin im Dezember im Westen Chinas freute ich mich aus dem kalten Shanghai und der nicht geheizten Altbauwohnung in Shanghai darauf in eine geheizte Neubauwohnung zu kommen. Ich war sehr erstaunt einen Heizofen vorzufinden der aber mit dem Hochzeitskleid der Besitzerin zugehängt war und alle bei geöffneten Fenstern (bei ca. fünf Grad Außentemperatur) in dicken Steppjacken im Wohnraum sitzen zu sehen. Das erklärte dann auch warum alle nach dem Dinner relativ früh schlafen gingen.